FilmMaterialien 10 - Der komische Kintopp.

Karl Valentin im Film

Ein Filmereignis für Deutschland

A. F. Stenzel

in: Film-Kurier, Nr.22, 24.1.1929


Zugetragen hat es sich zwar in München, aber von Bedeutung ist es dennoch für Deutschland.

Mitten in der Blütezeit des Faschings strömt das Publikums in München an einem Sonntag vormittag ins Lichtspielhaus. Die Plätze reichen nicht aus. Was ganz besonderes muß los sein.

Vor den Vorhang des Münchener Ufa-Theaters am Sendlinger Torplatz tritt Walter Jerven und gibt mit ganz kurzen, vielsagenden, witzigsten Worten ein Bild des Kinos von damals und von heute und teilt mit, daß er nach langem Suchen einige alte Filmstreifen aufgetrieben habe, die das Kino von damals treffend charakterisieren und auch für das Kino von heute nicht ohne Lehre sind.

Dann klettert er auf einer Leiter ins Orchester hinunter, schwingt die billige Klingel des Ansagers von anno dazumal und "erklärt" die einzelnen Filme des Programms, das im Rahmen der Bayerischen Landesfilmbühne abrollt.

Das Publikum biegt sich, die Stimmung wächst, sie explodiert zu Lachsalven. Selten hat man das Publikum in einem Kino so beteiligt gesehen und so dröhnend lachen hören.

In der Zusammenstellung ist das Programm äußerst vielseitig, regietechnisch hervorragend behandelt. Musik, alte Grammophonplatten, sentimentalste Schlager der Jahrhundertwende, gibt's hin und wieder. Kapellmeister Herrmann Ludwig vollbringt Bravourleistungen musikalischer "Untermalung". Dann kündigt Walter Jerven an: "Während der nächsten Nummer wird ein berühmter Künstler den neuesten Schlager auf einem Klavier mit 62 Tasten spielen. Inzwischen werden wir die Gelegenheit benützen, die Grammophonnadel schleifen zu lassen!"

Neben einer Pathé-Wochenschau von 1906 sieht man Max Linder, sieht das damals so berühmt gewesene Fritzchen, den Vorläufer von Jackie Coogan, sieht zum Brüllen komische Liebestragödien und ein koloriertes Indianerdrama. - "Vom Verhängnis unterworfen, stürzt Jamaika, die sonnige Tochter der Prärie, sich in die donnernden Fluten des Niagarafalles und gibt ihren Geist auf, nachdem sie vorher gestorben und furchtbar naß geworden ist!"

Zum Schluß - nach zwei typischen Grammophonplatten Karl Valentins - zwei Filme mit ihm und "ihr", der Liesl Karlstadt. Die größte Sensation dieses Programms! Vor 15 Jahren schon hat Karl Valentin unter primitivsten Verhältnissen eigene Filme hergestellt, die ersten deutschen Grotesken, damals etwas Neues, Unerwartetes für den deutschen Kientopp und folglich von Regisseuren und Filmverleihern boykottiert. Man stellt angesichts dieser Frühfilme Karl Valentins fest, daß alle Bestandteile der amerikanischen Groteske schon in ihnen enthalten sind, lange bevor Karl Valentins Vornamensvetter Charlie Chaplin mit seinen Grotesken sich den Kontinent eroberte. Und man muß sehr bedauern, daß bis heute kein Mensch auf den Gedanken gekommen ist, mit dem großen Münchener Komikerpaar, dessen Gebärdensprache so filmisch ist, daß sie keiner Worte bedarf, die große deutsche Groteske herzustellen, die in vielem ein interessantes Gegenstück zur amerikanischen sein könnte.

Der Wunsch Walter Jervens, Karl Valentin und Liesl Karlstadt doch einmal in einem großen deutschen richtigen Film zu begegnen, ist berechtigt und würde - erfüllt - manche Befruchtung für den deutschen Film zeitigen.

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