FilmMaterialien 6 - Paul Dessau.

Salto Mortale

Von H. Angel

in: Film und Ton, Nr. 34, 22.8.1931


Schon in der ouvertürenartigen Exposition wird man von dem großen Temperament, dem großen Können Dessaus fortgerissen und es leuchtet ohne weiteres ein, weshalb dieser Künstler, in alter Musik-Kultur erzogen, darauf verfiel, sich dem Film zu verschreiben: Sinnlichkeit der Anschauung und eine seltene Fähigkeit, mit den Mitteln neuer Musik Sinneseindrücke anschaulich wiederzugeben, prädestinieren ihn zum Schrittmacher moderner Film-Musik. Hier steht die Musik dem Film völlig gleichwertig gegenüber, ist ihm künstlerisch ganz gleichgeordnet. Hörte man sie, ohne den Film gleich zu sehen, empfände man die gleiche Erregung, die gleiche künstlerische Genugtuung: die Phantasie des Hörers wird entfesselt und von selbst in Assoziationen gezwungen, die in der Richtung des Films liegen. Kaum ein zweiter versteht so wie er, Luft, Farbe, Substanz eines Films einzufangen. Seine Komposition zu SALTO MORTALE begrenzt den Film zu Anfang und Ende wie ein Vorhang, hinter dessen verheißungsvollen Falten sich die unendliche Tiefe fremder Welten auftut; und noch bevor langsam der Vorhang sich öffnet, spürt man schon erregend Liebe und Angst der Artisten, die hinter ihm ihr Wesen treiben. Wie Variationen über das ewige Thema "Clown", genau in dem Maße entsentimentalisiert wie wir ihn heute empfinden, jagen die Töne vorbei, lose gebunden und leicht wie Duponts Übergänge. Erst beim Salto selbst wird auf jede melodische Begleitung verzichtet; Spannung und atemberaubende Angst werden durch einen einzigen, schwingenden Ton verdoppelt (der allerdings stärker wirken würde, wenn die völlige rhythmische Übereinstimmung mit dem Schwingen der Schaukel herzustellen gewesen wäre...) Trotzdem die Musik in diesem Film sparsam verteilt ist, führt Dessau hier die musikalische Linie, die er im MONTBLANC begonnen hatte, deutlich fort. Losgelöst vom Naturalistischen, formal mit jeder raffinierten Instrumentierungs-Technik vertraut, gelingt es ihm immer mehr, Film-Musik und konzertante Musik modernster Prägung einander anzugleichen.


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