Transatlantische Verleih- und Produktionsstrategien eines Hollywood-Studios in den 20er und 30er Jahren
Materialien zum 13. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 
16. - 18. November 2000.

Sprachen und Versionen 


Optimismus der Jugend.
Universal synchronisiert 
Sprechfilme deutsch. 

Hollywood, 11. September.
Es ist so, als wäre man Zeuge eines Wunders gewesen. Man kriegt manchmal schon die unerhörtesten Dinge zuwege, wenn man unerhörten Optimismus hat. Den unerhörten Optimismus der Jugend. 
Diesen Optimismus hat "Onkel Carl" (Carl Laemmle sen.), an dem die Jahre spurlos vorbeigehen, Carl Laemmle jun., was nicht so verwunderlich ist. Und natürlich hat ihn Paul Kohner, woran wir uns schon gewöhnt haben.
Der optimistische Paul Kohner kam also mit einer fabelhaften Idee zum optimistischen "Onkel Carl". Dieser verwies ihn an seinen optimistischen Manager, Junior. Die Folge ist das Wunder, dessen Zeuge ich im Projektionsraum von Universal werden konnte.
Die Firma hat da einen großen Sprechfilm BROADWAY, nach dem bekannten Bühnenstück, inszeniert von Paul Fejos. Die Schauspieler und Schauspielerinnen haben natürlich bei den Aufnahmen alle englisch gesprochen, Glen Tryon, Madge Kennedy, Evelyn Brent usw. Sie könnten es gar nicht anders, sollte man annehmen.
Das Wunder ist, daß sie alle auf einmal deutsch sprechen. So als sei es ihre Muttersprache. Durch den ganzen Film hindurch, der recht dialogreich ist. Was außerdem überrascht, ist, den Großaufnahmen wurde keineswegs aus dem Wege gegangen. Der Optimismus der Hersteller ließ das nicht zu, aber vielleicht war es nicht möglich.
Jedenfalls fließen selbst in diesen Großaufnahmen die deutschen Worte den Darstellern leicht und flüssig von den Lippen. Es ist im höchsten Grade verblüffend.
Dieses Resultat ist die Frucht mühseliger und sorgfältigster Kleinarbeit. Man erreichte es im wesentlichen dadurch, daß man den englischen Dialog nötigenfalls sehr frei übersetzte. Für jede englisch gesprochene Silbe wurde eine deutsche Silbe gefunden, die eine möglichst ähnliche Mundformung bedingt.
Ein einfaches Beispiel, es wird für das englische "father" das deutsche Wort "Vater" eingesetzt, das ein deutscher Schauspieler, das Filmbild des amerikanischen Schauspielers vor sich im Gleichtakt mit dessen Mundbewegung ausspricht, während der Tonfilmapparat es registriert, so daß man den photographierten Ton dann an Stelle des englischen Wortes am Rande des Films einkopieren kann. Das ist leicht.
Angenommen, man hat aber das zweisilbige Wort "service". Dann kann man nicht an seine Stelle das einsilbige deutsche Wort "Dienst" setzen. Man muß ein zweisilbiges Wort mit gleicher Betonung, das eine ähnliche Mundbildung bei der Aussprache bedingt, finden. Unter Umständen muß der Satz vollständig umkonstruiert werden, so daß mit vollständig neuen Worten die gleiche Idee zum Ausdruck gebracht wird.
Es soll in diesem Zusammenhang nicht versucht werden, ein Urteil über den Film BROADWAY abzugeben. Nur eine Feststellung. Mir will es scheinen, als sei die deutsche Version besser als die englische. Insbesondere scheint mir der deutsch sprechende Glen Tryon besser zu sein als der englisch sprechende.
Das gleiche trifft für Madge Kennedy u.a. zu.
Das Lob hierfür gehört zu einem Teil einem weiteren jungen Optimisten, Kurt Neumann, der die Regie führte, zum anderen Teil natürlich denen, die gesprochen haben, deren Namen man voraussichtlich neben den Namen der Darstellerliste finden wird.
Es ist keine Frage, daß die Person und die adaptierte Stimme für den Zuschauer und Zuhörer zu einem einheitlichen Charakter verwachsen. Das vor allem dann, wenn die Substanz des Filmes, die Geschichte und die Erzählertechnik zu fesseln verstehen, so daß man aufhört, nach kleinen Unebenheiten in der Synchronisierung von Laut und Lippenbewegung Ausschau zu halten.
Natürlich kann man nicht so weit gehen, zu sagen, daß hier eine neue Kunstform gefunden wurde. Ebensowenig wurde sie damals gefunden, als man den Zwischentitel einführte. Es handelt sich um ein Hilfsmittel des Filmes, das vielleicht imstande ist, dem Sprechfilm, ob er nun hier oder in Europa hergestellt wird, die Brücke zum internationalen Markt zu bauen.

Ch. [= Chaparral],
Film-Kurier, Nr. 234, 2.10.1929


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