... aus dem Geiste der Operette. Materialien zum 10. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 20. - 23. November 1997.
Zeitgenössische Pressestimmen

Leicht-sinnige Schein-Welt


Willy Haas über

DIE KEUSCHE SUSANNE

Film-Kurier, 12.11.1926

Dagegen ist nichts zu sagen: wenn man überhaupt Operetten verfilmen soll, so kann man sie nicht anders, nicht besser inszenieren, als es Richard Eichberg tut. Und warum soll man sie nicht verfilmen? Lieber als den Faust (- unter uns gesagt). Warum ist man glücklich bei solch einem Operettenfilm?

Ich will von mir sprechen - und nehme an, daß das mehr oder weniger auf die paar Hundert, die gestern begeistert applaudiert haben, und auch die vielen Tausend, die es noch tun werden, zutrifft. Also: Seit sechs Jahren schon möcht’ ich gern mal einen Sonntagsausflug machen, auf einem Dampfer, im hellen Sonnenschein, zusammen mit so einem blonden Wuschelkopf, wie ihn die Harvey hat. Komme leider nicht dazu, bin zu beschäftigt. Seit drei Jahren möchte ich gern mal nach Paris fahren und in die Moulin Rouge gehen. Komme nicht dazu. Seit ich geboren bin, möcht’ ich gern mal im Sommer nach Deauville fahren. Immer, wenn ich in einem Magazin ein bathing girl photographiert sehe, nehme ich’s mir wieder vor. Komme nicht dazu - zu kostspielig. Ferner: ich möchte in einer Welt leben, wo alle fürchterlichen Verwicklungen des Lebens, alles, was sonst zu Katastrophen führt, alles, was manchmal mit Mord und Totschlag endet, nichts als komische Situationen ergibt: Untreue, Heuchlerei, vergifteter Ehrgeiz, Hysterie und so fort. Ich möchte in einem Staat leben, in dem die Polizei so gemütlich ist wie in den Operetten, in dem die Richter sich mehr um die Beine der Angeklagten kümmern, als um ihr Vergehen, und dem der Zustand der Pleite eine vorübergehende komische Episode ist. Und was die Lilian Harvey betrifft, so ist »möchten« schon der gelindeste Ausdruck für das, was die meisten Zuschauer männlichen Geschlechts vermutlich möchten; was, vice versa, sicher auch auf Willy Fritsch zutrifft.

Die Griechen nannten so was Elysium. Heute sind die Operetten so eine Art Elysium-Ersatz. Wer gesund, lebensfroh, sinnlich ist, kann nichts gegen Operetten haben. Wer will nicht glücklich sein? Alle wollen es; und fast alle im Wesentlichen auf die gleiche Art. Wer es nicht will, kann auch nichts von Kunst verstehen. Ich habe gegen Operettenfeinde schwerwiegenden Verdachte. Es sind meist Bildungsheuchler, vertrocknete Exaltados, Expressionisten, Pen-Clubmitglieder, mit einem Wort: Gerippe ohne Fleisch.

Es kommt also nur auf eines an: ob so eine Operette Lebensfreude verbreitet. Andere »Werte« gibt es hier nicht. Es ist ganz egal, ob das, was diese Lebensfreude verbreitet, ein Leierkasten oder eine hübsche Frau oder ein alberner Witz schlechten Ranges ist. Völlig Wurst und egal. Richard Eichberg weiß, was eine Operette ist; er ist ein ausgezeichneter Operettenregisseur. Er macht alles, was ihm einfällt, und eine ganze Masse, was ihm nicht einfällt; Ben Akiba hat sicherlich mal irgendwo einen Eichberg-Film gesehen, bevor er ein Philosoph wurde. Aber er macht es mit einer unverwüstlichen guten Laune. Kennen sie den Zustand, wenn man sehr gut gegessen hat, einen sehr guten Wein getrunken hat und jetzt, nachher, eine Havanna raucht - ein Zustand, wo der andere den größten Kohl reden kann und man findet es doch nett, lustig, anregend? Das ist der Zustand »Richard Eichberg«. Kurz, er kann Operetten inszenieren. - Gott segne Sie, Richard Eichberg, machen Sie weiter ihr Pi-pa-po. Sie machen die Menschen glücklich damit. Sie haben mir zwei sorg- und gedankenlose Stunden bereitet. Alle in dem Riesenraum waren Ihnen dankbar; auch ich.

 

Ernst Jäger über

DIE DREI VON DER TANKSTELLE

Film-Kurier, 16.9.1930

Erich-Pommer-Filme pflegen die Kritik zur Filmphilosophie anzustacheln. Es wird da nach Mentalitäten geschnuppert, - internationale Filmphilologie getrieben und die sehr gelehrte kritische Wissenschaft entrollt sich in Talar und Perücke.

Diesmal kommt der todernste Producer und Mensch uns so unbeschwert wie er noch nie war. Leichtsinnig, liebenswürdig. (...) Ja diese heitere Filmart will vergessen lassen, sie will lustig, ohne Sinn sein - sie will leicht-sinnig sein.

Jener prickelnde Geist etwa aus dem charmantesten aller Vorkriegsoperettenakte, Lehárs »Graf von Luxemburg« erste Szenen oder die ewige »Fledermaus«-Stimmung bezeichnen das Klima, in dem dieser Film entstand. Ein mildes, sonniges Land - auch wenn nur die Ateliersonne scheint, ein Gelände, bewußt getrennt vom schweren Wirklichkeitsfilm, aber auch von der Zeitsatire.

Künsterisches Verdienst solcher Film-Erfindungs-Künstler: daß der Un-Wirklichkeitsfilm eben bewußt geschaffen wird, daß darauflos gesungen, gemimt, getanzt wird ohne den üblichen bitterlichen Humor des Sich-Ernstnehmens auch in der Posse durchzudrücken -- und weiter --: daß diese bewußte Führung zum Heitergemeinten den Tonfilm-Stil endlich wieder bereichert. Der Film greift in die geheiligten »Theaterbezirke« ebenso erfreulich bedenkenlos ein, wie er tonfilm-motivisch, akustisch und optisch neue Einfälle riskiert.

Zu unterstreichen bleibt: An Stelle der zähen Operettentradition tritt der Versuch der musikalischen Komödie, der eigene Stil einer neudeutsch-bürgerlichen Unterhaltungsfreude.

 

Ernst Jäger über

EINBRECHER

Film-Kurier, 17.12.1930

Bezaubernde Vorspiegelung »falscher Tatsachen ...!« Film pour film.

Den Stil für das leichteste der leichten Konversationen (über Nichtigkeiten reichen »Lebens«) im Film zu schaffen, hier ist es wieder versucht, wieder gelungen.

Die Pommer-Leitung setzt alle Mittel des Films für die Organisation heiteren Schein-Lebens ein: bewegte Zeichnung der Handlung durch Kamera und Mikrophon, zu Tanz und Quickheit entfesselte Schauspieler, unbedenklich und vielseitig genutzte Musik-Mitwirkung.

Diese drei Elemente des tönenden »Alles bewegt sich« bestimmen die Haltung des Films, entscheiden seine Wirkung. Welche technische Titanen-Arbeit, einen Film, den keine Lebensnähe stützt, kein echtes Gefühl vom Menschlichen her erleichtert, so an unser kühles Kino-Parkett heranzubringen: Fiktion, Konstruktion im leeren Raum - bewußt dies alles, Puppen im Spiel, Schelmen-Spiel. Und mit diesem Puppen- und Schelmen-Spiel wird noch ein Einbrecher-Legendchen erfunden, das sich selbst als Vor-Spiel eines romantischen Schriftstellers vor seiner romantischen Geliebten entpuppt. Noch mehr Entschuldigung für die Un-Wirklichkeit dieser Komödie war unmöglich. Diese Haltung beweist Anstand, Geschmack, Intellekt der Schaffenden: für Abgrenzung und Einordnung des Films selbst. Man hat solche Art von Selbstfixierung und Einschätzung des Films noch nie so betont gesehen, so mit deutlicher Selbstbegrenzung.

Die Pommers sind damit einen Schritt weiter über die Tankstelle hinausgegangen. Weniger in der Frische des Spiels an sich, als in der Stil-Bewußtheit. Die Tankstellen-Jugend wollte noch Jugend von heute vortäuschen, hier täuscht man Täuschung vor.

Puppenspiel-Stil. Einbrecher aus Märchen vom schönen Schein-Leben. Kein Problem. Luftgebilde. Flucht in die Mathematik des Figurenspiels, dessen Zauber bannen, solange der Zauber währt. Für die Produktion: vor dem Willen zum Stil nicht desertieren! Und dieselbe Konsequenz des Geschmacks und der Formgebung an Stoffe aus der Zeit gewandt. Oder lebt in dieser Wirklichkeit 1930 kein Lachen mehr, in das ein Einbruch lohnt ?


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