CinErotikon. Materialien zum 12. Internationalen Filmhistorischen Kongreß, Hamburg, 4. - 7. November 1999.

Sexual-Probleme unter Ausschluß der Öffentlichkeit

Ein geschlechtsproblematischer Film wird für das Publikum verboten - für Wissenschaftler freigegeben. - Überschätzung der Mediziner oder Unterschätzung des Publikums?

Haf. (= Hans Feld)

In: Film-Kurier, Nr. 247, 19.10.1927

Die Firma Humboldt-Film GmbH hat einen Film »Gesetze der Liebe« hergestellt, der von der Filmoberprüfstelle - Vorsitzender Herr Seeger - unter dem 12. Oktober verboten worden ist. Das heißt, verboten ist die öffentliche Vorführung im Deutschen Reiche. »Der Bildstreifen darf jedoch vor bestimmten Personenkreisen, nämlich vor Ärzten und Medizinbeflissenen in Lehranstalten und wissenschaftlichen Instituten vorgeführt werden.«

Über diesen Film, dessen Inhalt von einer vorsorglichen Oberprüfstelle für sittengefährdend zu sein schien, daß ein Verbot am Platze war, gibt der Verhandlungsbericht Aufschluß.

Der Film zerfällt in vier Kapitel. Das erste, das vom »Suchen und Finden der Geschlechter« handelt, zeigt das Einandersuchen der Geschlechter, Fortpflanzung und Befruchtung bei Pflanzen, Insekten, Fröschen, Schlangen und Vögeln.

»Das Licht der Welt« schildert die Vorgänge von der Befruchtung bis zur Entwicklung des selbständigen Lebewesens, also bis zu Ausschlüpfen oder Geburt.

Den Äußerungen des mütterlichen Triebes ist das Kapitel »Mutterliebe« gewidmet, das parallel Vorgänge bei Ratten, Katzen, Hunden, Schafen, Känguruhs, Pferden, Affen und Menschen zeigt.
Schließlich wird das »Zwischengeschlecht« behandelt, die ungeschlechtliche Fortpflanzung und die Zwitter bei Pflanzen, Tier und Mensch, unter Berücksichtigung der Steinachschen experimentellen Beeinflussung der Geschlechtsmerkmale. Bei Menschen finden insbesondere virile Frauen, feminine Männer und Transvestiten Berücksichtigung.

Dem Film ist eine Spielhandlung angefügt, die das Schicksal eines gleichgeschlechtlich empfindenden Künstlers zeigt, der auf Grund seiner Neigungen einem Erpresser in die Hände fällt. Ein Vorgang also, der sich, nicht zuletzt in den Kreisen der sogenannten guten Gesellschaft ziemlich häufig abspielen dürfte und deshalb immerhin von allgemeinen Interesse ist.

»Unter Berufung auf eine Petition führender Vertreter des deutschen Geisteslebens fordert der Bildstreifen die Aufhebung des § 175 des deutschen Strafgesetzbuches und der §§ 267 und 268 des deutschen Strafgesetzbuches, die homosexuelle Männer mit entehrender Strafe bedrohen und sie dadurch oft Erpressern in die Hände liefern, wodurch mancher wertvolle Mensch in den Tod getrieben worden ist.«

Die Prüfstelle hatte einen Vertreter des Reichsgesundheitsamtes als Sachverständigen angehört und zur öffentlichen Vorführung, ausgenommen vor Jugendlichen, zugelassen. Mit Rücksicht auf den Wert des ersten Teils.

Die private Meinung des Herrn Sachverständigen über die Sexualität wäre unbeachtlich, wenn sie nicht eine weitverbreitete Ansicht darstellen würde. Man gibt zu, daß die Homosexuellen in größter Mehrheit kranke Menschen sind, für die eine Gefängnisstrafe in vielen Fällen nicht das richtige Mittel ist.

Man glaubt aber, daß der § 175 trotzdem aufrechterhalten werden muß, um die Normalen vor Verführung zu schützen. Im übrigen sah der Sachverständige in der Tatsache, daß ein Homosexueller Held des Films sei, eine Propaganda für die Homosexualität.

Die Oberprüfstelle ist zu dem Verbot gekommen, da sie ebenfalls in der Spielhandlung eine Propaganda für die Gleichgeschlechtlichkeit sieht. Sie wendet sich gegen die Tendenz des Titels: »Die Wissenschaft hat festgestellt, daß es sich um eine angeborenen Veranlagung handelt, bei der der einzelne vollkommen schuldlos ist... Die Liebe zum eigenen Geschlecht kann an und für sich ebenso rein und edel sein wie die zum anderen Geschlecht.«

Besonderes Mißfallen bei der Oberprüfstelle erregte ferner die Darstellung einer Reihe historisch berühmter Persönlichkeiten, die gleichgeschlechtlich veranlagt waren. Darunter Fridericus und König Ludwig von Bayern. Die Oberprüfstelle hat dann den biologischen Teil als Vorbereitung für die Spielhandlung angesehen und ihn gleichzeitig verboten. Merkwürdig ist dabei die Begründung, der Film führe den Ungebildeten irre, indem er die Ansicht erwecke, »daß schon allein freundschaftliche Beziehungen bei männlichen Personen durch Streicheln des Kopfes und Umfassen des Halses zur strafrechtlichen Handlung genüge.«

Also das soll ein Grund mit zum Verbote sein?! Tatsache ist, daß die strafbare Handlung, nämlich die Ausübung der gleichgeschlechtlichen Neigung im Film gar nicht gezeigt werden dürfte, mithin also erst recht einem Verbote unterläge. Über die Homosexualität sind die Ansichten geteilt. Ob der von der Oberprüfstelle inkriminierte Film tatsächlich Material genug zu einem begründeten Verbote gibt, ist nach dem vorliegenden Schriftsatz der Verhandlungen immerhin fraglich.

Auf jeden Fall ist es unhaltbar, einen Film der Öffentlichkeit vorzuenthalten und ihn den Wissenschaftlern freizugeben. Hält er diesen stand, dann besteht keine Veranlassung, das Publikum in solcher Weise zu bevormunden.

Ist er aber unwissenschaftlich, weshalb diese Geste der Überweisung an ein objektiv-kritisches Forum?


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