CineGraph - Lexikon zum deutschsprachigen Film.

Phil / Piel Jutzi - Kameramann, Regisseur

Biografie

siehe auch: FilmMaterialien 5, Filmografie

Philipp Jutzi wird am 22. Juli 1896 als Sohn des Schneidermeisters Peter Jutzi und seiner Frau Anna Katharina Jutzi, geb. Friedrich, in Alt-Leiningen bei Grünstadt/Pfalz geboren. Er besucht sieben Klassen der Volksschule und - nach ersten autodidaktischen Versuchen als Kunstmaler - zwei Jahre eine Kunstgewerbeschule. Danach ist er zunächst als Landschaftsmaler tätig und ab 1916 auch als Kinoreklamemaler. Wegen eines körperlichen Gebrechens ist er während des Ersten Weltkriegs dienstuntauglich gestellt und nur für »Hilfsdienste« eingeteilt.

In den 10er Jahren gibt Jutzi seinen Vornamen zunächst mit »Phil« an; Anfang der 20er Jahre ändert er seinen Namen in Piel Jutzi, bis er 1931 einen Prozeß gegen den Schauspieler und Regisseur Harry Piel verliert, der gegen die Namensgleichheit geklagt hat. »›Wissen Sie, ich begreife das gar nicht‹, meint der neue Phil, ›seit zwölf Jahren bin ich unter diesem Namen tätig und darum habe ich auch eingewandt, daß Harry Piel schön früher hätte monieren müssen. Plötzlich bekomme ich da einen Brief von ihm und dann habe ich ihm mitgeteilt, daß ein Vorname doch nichts mit seinem Nachnamen zu tun habe. Schließlich bei uns in der Pfalz heißt man, wenn man den Namen Philipp trägt, selbstverständlich Piel.‹« (Film-Kurier, Nr. 234, 6.10.1931).

Hermann Basler, Jutzi (r), Heidelberg, um 1920

Seit 1919 ist Jutzi als Kameramann, dann auch als Regisseur und Drehbuchautor tätig bei der Internationalen Film-Industrie GmbH, Heidelberg, die Grotesk-, vor allem aber Detektiv- und Wildwestfilme produziert. Bei DAS BLINKENDE FENSTER, einem Film um den »Meisterdetektiv Ferry White«, wird Jutzi 1919 zum erstenmal als Regisseur genannt. Im gleichen Jahr inszeniert er auch den Wildwestfilm BULL ARIZONA, DER WÜSTENADLER. Für DER FREMDE MIT DER TEUFELSMASKE wird mit dem Satz geworben: Er »entwickelt in exzentrisch-amerikanischem Stil eine phantastisch-abenteuerliche Handlung mit vielen Sportsensationen und Expreßzugepisoden«. Bei DER GRAUE HUND arbeitet Jutzi erstmals mit seinem Schwager Holmes Zimmermann (12.9. 1900 - 14.6.1957) zusammen, der später u.a. Hauptdarsteller seiner Filme UM'S TÄGLICHE BROT (HUNGER IN WALDENBURG) und MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK sein wird.

Anfang der 20er Jahre kommt Jutzi in Kontakt mit der Internationalen Arbeiterhilfe (I.A.H.) in Berlin. Er wagt den Sprung von Heidelberg nach Berlin und arbeitet für die kommunistische Welt-Film zunächst als Kameramann, dreht aktuelle Ereignisse, u.a. soll er beim Kapp-Putsch im März 1920 Aufnahmen gemacht haben. Als die Prometheus Film-Verleih und Vertriebs GmbH gegründet wird, die sich als Organisationszentrum des proletarischen Films versteht, schließt er sich dieser Firma als Mitarbeiter an. Er arbeitet weiter als Kameramann von Dokumentarfilmen; oft unter Lebensgefahr entstehen filmische Reportagen von Demonstrationen und Auseinandersetzungen zwischen Staatsgewalt und linker Opposition. Jutzi, der als Regisseur schlichter Unterhaltungsware begonnen hat, wird ab Mitte der 20er Jahre zum führenden Regisseur des proletarisch-realistischen Films: »Da wird nichts verdreht, da wird hingeschaut. Der grelle Scheinwerfer zeigt die Wirklichkeit und die Dinge, die darunter liegen. Das weiß Phil Jutzi, er sieht mit der Schärfe seiner realen Optik: ›Die Kamera ist kein Gummiball, auch sonst kein Spielzeug für technische Konstruktionen - das Leben ist so Konstruktion genug.‹« (Film und Volk, Nr. 1, 1930).

1926 beginnt die Prometheus mit der Herstellung von Spielfilmen; einen der ersten, KLADD UND DATSCH, DIE PECHVÖGEL, inszeniert Jutzi. Anfang des selben Jahres beginnt er, deutsche Verleihfassungen sowjetischer Filme herzustellen, u.a. bearbeitet er Eisensteins BRONENOSEC »POTEMKIN« (PANZERKREUZER POTEMKIN, 1925; 1930 stellt er auch die erste Tonfassung des Films her), Boris Michins ABREK ZAUR (DER SOHN DER BERGE, 1926), Traubergs GOLUBOI EKSPRESS (DER BLAUE EXPRESS, 1930) und Ivanovs TRANSPORT OGNAJA (FEUERTRANSPORT, 1930). Als Kameramann ist er 1928 an der sowjetisch-deutschen Co-Produktion SALAMANDRA / FALSCHMÜNZER von Grigorij Rosal beteiligt wie auch an Fedor Ozeps ZHIVOJ TRUP / DER LEBENDE LEICHNAM, der teilweise in Berlin gedreht wird.

Im gleichen Jahr entsteht nach einem Drehbuch von Leo Lania der halbdokumentarische Spielfilm UM'S TÄGLICHE BROT (HUNGER IN WALDENBURG) mit Holmes Zimmermann und Laiendarstellern. Mit dem Film, der von der Zensur stark gekürzt wird, gelingt Jutzi ein realistisches Bild des bedrückenden Elends im Kohlenrevier von Waldenburg (heute Walbrzych, Polen). »Auf Grund von Erzählungen und Berichten der Waldenburger Arbeiter ist ein Filmmanuskript entstanden, das mit Hilfe der Arbeiter selbst ins Filmische übertragen wurde, das heißt, die Arbeiter stellten sich selbst und ihre Schicksale dar; sie spielten nicht irgendwelche Rollen - sie zeigten sich selbst.« (Lania, Film und Volk, Nr. 3, 1929).

Die linke wie auch die bürgerliche Kritik reagieren weitgehend positiv auf Jutzis linksengagierten Film. Heinz Pol etwa schreibt: »Nicht so wichtig wie die Handlung sind die authentischen Aufnahmen aus dem Waldenburger Revier, am erschütterndsten vielleicht die photographische Wiedergabe einer Lohntüte und einer Abrechnung: 25 Mark in drei Wochen verdient dort ein Weber, und die Kinder schlafen in Margarine-Holzkisten, von den nackten Wänden rieselt das Wasser, und wenn man mit der Arbeit fertig ist, beginnt erst der Kampf ums tägliche Brot: wird der Lebensmittelhändler noch weiter borgen oder nicht? Hier ist ausgezeichnete Arbeit geleistet worden, auch technisch; das ist die Berichterstattung der Zukunft, einer sehr nahen Zukunft.« (Vossische Zeitung, Nr. 118, 10.3.1929). Manfred Georg resümiert: »Hingehen! Ansehen! Erleiden! Helfen!« (Tempo, Nr. 64, 16.3.1929) und Fritz Walter stellt die Beziehung zu den in diesen Jahren vieldiskutierten »Russenfilmen« her: »Wenn man bisher an den Russenfilmen ihre rätselhafte und bei aller Realität mystische Lebensnähe bewunderte, so schrieb man diese zur Hälfte dem glücklichen Umstand zu, daß das russische Volk wie kein anderes über einen natürlichen Reichtum an Menschentypen verfüge, der, eben als eine Naturbegabung, in anderen Ländern nicht schaubar zu machen sei. Nach diesem Film wird man seine Ansicht korrigieren müssen. Uns war nur durch die Plakatierung unserer Publikums- und Filmmagazinlieblinge der Blick verstellt auf das wirkliche Gesicht des Volkes, das sich in diesem Filmbericht zum erstenmal enthüllt. Nicht anders als im Russenfilm, zieht eine ergreifende Fülle von einfachen, ausdrucksstarken, in ihrer Selbstverständlichkeit schicksalhaften Gesichtern vorüber. Diese in ihrer Gesamtheit gesehen und vor die Kamera gebracht zu haben, das ist vielleicht das dauerndste Verdienst des Films.« (Berliner Börsen-Courier, Nr. 129, 17.3. 1929).

Im rechts-konservativen Der Deutsche wird »die klassenkämpferische Einstellung des Films« bedauert, »Kapitalismus und Kirchen werden als die finsteren schuldigen Mächte gezeigt. Warum zeigt man nicht neben den Kirchen auch die roten Parteihäuser? Nicht die Kleriker herrschen im Waldenburger Revier, sondern die roten Parteisekretäre. Der Hunger Waldenburgs, in roter Farbe gezeigt, wirkt abstoßend.« (Nr. 65, 17.3.1929). Und der Kommunist Willi Bredel veröffentlicht nach einer vom Volksfilmverband in Hamburg organisierten Vorführung des Films eine vehement ablehnende Kritik: »Der Film zeigt grauenhafte Bilder vom Elend der Arbeiter in dieser Republik, das jeder Bourgeois und jeder sozialdemokratische Bonze so gern leugnet und als eine überwundene Epoche bezeichnet. Der Film zeigt die Opfer dieser kapitalistischen Profitwirtschaft und deren verheerende Auswirkungen, ohne sie freilich als solche darzustellen. Der Film zeigt Elend, Elend, Elend - aber ohne Ausweg - vollkommen fatalistisch, vollkommen resigniert. Leo Lania und die maßgebenden Leiter im Volksfilmverband haben nichts vom Russenfilm gelernt. Bei ihnen ist Jammer und Klagen und Wehgeheul - und kein Ausweg, so als gäbe es keinen: Aber es gibt einen: Die proletarische Revolution! Die Herrschaft der Arbeiterklasse! Der Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft und die Zertrümmerung der kapitalistischen Herrschaft - das ist der Ausweg!« (Hamburger Volkszeitung, Nr.271, 4.12.1929).

Friedrich Gnaß, Phil Jutzi, Ilse Trautschold; MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK (1929)

1929 realisiert Jutzi - »nach Erzählungen von Heinrich Zille, berichtet von seinem Freunde Otto Nagel« - MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK, der von September bis November mit geringen finanziellen Mitteln gedreht wird. Das Protektorat für diese Prometheus- Produktion übernehmen die Künstler Käthe Kollwitz, Hans Baluschek und Otto Nagel. Der Film wird einer der größten künstlerischen und geschäftlichen Erfolge der Prometheus. Vorführungen müssen sowohl in den berliner Uraufführungs-, als auch in Bezirkskinos prolongiert werden. Und auch die nachträgliche Distanzierung der Familie Zille - »Unser Vater hätte an diesem Film nie mitgearbeitet. Das wissen auch alle diejenigen, die ihn wirklich kannten und verstanden. (...) Diese 'Fahrt ins Glück' wäre unserm Vater nie nach seinem Sinne gewesen.« (Der Kinematograph, Nr. 11, 14.1.1930) - tut dem Erfolg des Films keinen Abbruch. Der Kritiker Durus (= Alfred Kemeny) lobt den »ersten deutschen Film, den man ideologisch und künstlerisch mit den russischen Filmen in einem Atem nennen kann: ein Film, der die russischen Filme keineswegs kopiert, der selbständig aus den eigenen Bedingungen des deutschen Proletariats entstanden ist. Ein Beweis dafür, daß proletarisch-revolutionäre Filme - wenn auch nicht ganz ohne Konzessionen - bereits vor der Machtergreifung durch die Arbeiterklasse entstehen können.« (Die rote Fahne, Nr. 1, 1.1.1930).

Siegfried Kracauer nennt Jutzi »eine Hoffnung«: »Nicht etwa deshalb, weil er, unterstützt vom ›Wedding-Maler‹ Otto Nagel, das Milljöh wieder einmal ausgebeutet hat. Es ist schon mindestens ebenso treffend gekennzeichnet worden. Manche Typen sind zu typisch, und die übertriebene Gefräßigkeit der Hochzeitsgäste ist eine Entgleisung. Auch versteht sich Jutzi, einstweilen zu sehr ins Detail verliebt, noch nicht auf die Kunst des Auslassens. Aber er hat doch nicht wie andere den Russen nur die Äußerlichkeiten abgeguckt, sondern wirklich von ihnen gelernt. Seine Straßen-, Häuser- und Hofaufnahmen sind großartig, seine Übergänge sachlich begründet.« (Frankfurter Zeitung, Nr. 74, 28.1.1930). Vereinzelt kommt es bei Aufführungen des Films zu nationalsozialistischen Störungen, über die Die Rote Fahne berichtet: »Die Arbeiter Berlins werden sich solche Demonstrationen gegen den proletarischen Film nicht gefallen lassen und den Burschen, die sie bei ähnlichen Attentaten ertappen, gehörig das Fell gerben.« (Nr. 12, 15.1.1930).

Ohne die kämpferische Schärfe von MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK, wenn auch mit deutlicher Kritik an bestehenden sozialen Verhältnissen, entsteht 1931 Jutzis Verfilmung von Alfred Döblins Roman BERLIN - ALEXANDERPLATZ, mit Heinrich George als Franz Biberkopf. Die kritische Resonanz ist zurückhaltend. Herbert Ihering moniert die »dramaturgische Fehlanlage«: »Phil Jutzi kommt nur zu Detaileinstellungen, zu sehr guten, sehr abwechslungsreichen - aber es fehlt das Entscheidende: die Bindung zu einer filmischen Form.« Heinrich Georges Leistung nennt er eine »grandiose Solonummer«: »Er zieht alle Register vom naiven, dumpfen Michel bis zum rasenden Kraftlackel. Simson vom Alexanderplatz. Aber er zieht eben - Register.« (Berliner Börsen-Courier, Nr. 472, 9.10.1931). Siegfried Kracauer konstatiert »Versagen«, analysiert einen falschen Umgang mit der Romanvorlage und fehlenden Mut zur Kolportage. »Erst einen großangelegten Vorwurf zur Kolportagehandlung zu reduzieren und dann die Kolportage durch ornamentale Attrappen wieder auf die Romanebene transponieren zu wollen: das ist unmöglich. Langeweile ist die einzige Folge eines solchen Mangels an Folgerichtigkeit.« (Frankfurter Zeitung, Nr. 761/2, 18.10.1931).

In der Sondernummer des Film-Kurier vom 1.1.1931 resümiert Jutzi in einem längeren Aufsatz unter dem Titel »Zurück zum Film!« seine filmästhetischen Ansprüche und Erfahrungen. Er schreibt: »Im Anfang war das Bild! Film war - ist - und wird Bild bleiben. Der Ton kam zu ihm. Oft muß man leider sagen 'aber was für einer'. Man stellte ihn vor das Bild, ließ ihn 'reden', 'schreien', 'singen' und 'Geräusch' machen, erschreckt und verschämt verkroch sich das Bild - es war zu feinnervig dazu. (...) Film ist das Resultat eines Zusammenspiels verschiedenster Instrumente. Autor, Regisseur, Operateur spielen auf dem kompliziertesten Instrument, dem Menschen selbst. Alle müssen Könner sein und ein Orchester bilden. Der Ton darf keinesfalls den Ton angeben. (...) Scheintot liegt nicht der stumme Film, sondern der Film. Bildlich ist die Filmhandlung verständlich zu machen. Die Dialoge müssen auf das äußerste beschränkt werden, schon wegen der Internationalität des Films.«

1930 scheitert der Plan, Anna Seghers' »Aufstand der Fischer« mit Asta Nielsen unter Jutzis Regie zu verfilmen. Langwierige künst-lerische und produktionstechnische Auseinandersetzungen um dieses Projekt innerhalb der Prometheus und das unkalkulierbare Geschäftsgebaren der Firmen-Führung mögen zu Jutzis zunehmender Verbitterung beigetragen haben. Der Drehbuchautor Willy Döll berichtet, daß Jutzi idealistisch sich eingesetzt habe für die Prometheus und seine Filmprojekte, bei geringer Bezahlung unter oft schwierigsten Produktionsbedingungen. Die Absage des Seghers-Projekts beendet Jutzis künstlerisch produktivste Phase. Auch in Jutzis politischer Biografie setzen die Jahre 1929/30 einen Einschnitt: Nach eigener Aussage tritt er Ende 1929 aus der Kommunistischen Partei Deutschlands aus, deren Mitglied er seit Anfang 1928 ist.

Zwei weitere Spielfilmvorhaben scheitern Anfang der 30er Jahre. Eine Verfilmung der Maupassant-Novelle »Die Ordonnanz« wird nicht realisiert (Lichtbild-Bühne, Nr. 102, 2.5.1930) und auch ein geplanter Monumentalfilm »Die weiße Schwester von St. Marle« kommt nicht zustande; eine Klage Jutzis gegen die Einstellung des Projekts wird im März 1933 gerichtlich abgewiesen (Lichtbild-Bühne, Nr. 62, 13.3.1933).

Bereits im März 1933 tritt Phil Jutzi der NSDAP bei (Mitglieds-Nr. 1774101), im Mai des Jahres wird er Mitglied der Nationalsozialistischen Betriebsorganisation/Film (NSBO) und vom 23.9.1933 ist seine Beitrittserklärung zur Reichsfachschaft Film datiert, deren Mitgliedschaft ihm am 11.10.1933 unter der Mitgliednummer 917 bestätigt wird. Zeitweise ist er Kassenwart der Ortsgruppe Laubenthaler Straße im Bezirk Berlin-Wilmersdorf. Der frühe Eintritt in die NSDAP und Mitgliedschaften in anderen nationalsozialistischen Organisationen bedeuten nicht zwangsläufig, daß Jutzi »überzeugter Nazi« war. Zeitzeugen attestieren ihm immer wieder Integrität. Eine Erklärung für Jutzis frühen Partei-Eintritt könnten die enttäuschenden Erfahrungen in der KPD sein. Jutzi ist kein renommierter Starregisseur; seine wirtschaftlichen Verhältnisse bleiben bescheiden. Auch nach dem Machtantritt der Nazis bleiben seine Arbeitsmöglichkeiten eingeschränkt. 1933 wird UM'S TÄGLICHE BROT als einer der ersten Dokumentarfilme verboten, noch im gleichen Jahr untersagt die Zensur die Aufführung von MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK.

Daß es aber sehr wohl, wenn auch nicht erfolgreich, publizistische Bestrebungen gibt, Jutzi als nationalsozialistischen Regisseur zu vereinnahmen, verdeutlicht ein Porträt, das 1935, nachdem er bei zwei Spielfilmen Regie führen konnte, im Film-Kurier erscheint. Mit Bezug auf seine zahlreichen Kurzspielfilme, Brotarbeiten sozusagen, schreibt der Autor: »Aber man sollte doch auch über Brot sprechen. Jutzi wäre wohl einer von denen, die es uns inszenieren könnten: Filme über das tägliche Brot. Überzeugende Filme von der inneren Wandlung Deutschlands, vom Glück und der Gewißheit einer Nation der Schaffenden und Arbeiter. Von Menschen, die ums Brot leben und mit ihm glücklich sind. (...) Lebensfilme sollte er versuchen (...), etwa einen Film, in dem nun Mutter Krause in einer gewandelten Welt wirklich ins Glück fährt. In Deutschland 1935.« (Film- Kurier, Nr. 66, 19.3.1935).

Ab 1933 kann Jutzi zunächst nur im Bereich der Kurzspielfilm-Produktion arbeiten. Er inszeniert leichte, unscheinbare Lustspielstoffe und einige Kriminalkurzfilme. Zunächst ist er für den Produzenten Kurt Ulrich tätig; zeitweilig verfaßt Charlie Roellinghoff, ein Spezialist für kurzweilige, triviale Sujets, die Drehbücher. Jutzi gelingt es, kabarettistische und milde satirische Akzente in den an sich banalen Filmen zu setzen. 1934 dreht er auch für die Euphono-Film. Im gleichen Jahr beginnt er in Wien - für die österreichische Atlantis Film GmbH - mit der Realisierung des langen Spielfilms ASEW, der »Geschichte von dem Verräter Asew, der in einer Person Führer einer Terror-Gruppe und Mitarbeiter der Geheimpolizei, besorgt tuender Familienvater und stadtbekannter Lebemann« ist, »angefüllt mit unübersehbaren Möglichkeiten«: »Ein solches Geschehen muß so gestaltet werden, daß der Zuschauer die Vorgänge glaubt und von ihnen gepackt wird. Er muß ausspucken vor der Kanaille Asew, er muß entsetzt sein über die zaristischen Regierungsmethoden. Aber es kommt nicht dazu...«, urteilt Georg Herzberg (Film-Kurier, Nr. 88, 13.4.1935). Nach einem Bericht des Hauptdarstellers Fritz Rasp wird der Film zunächst verboten, angeblich, weil zu viele Attentatsszenen zu sehen seien.

Ebenfalls in Österreich inszeniert Jutzi anschließend das Spionage-Melodram DER KOSAK UND DIE NACHTIGALL; für dessen Regie zunächst Johannes Meyer vorgesehen ist und Jutzi nur ein Engagement für die Außenaufnahmen erhalten soll. Der mit Ivan Petrovich und Jarmila Novotna besetzte Film, der in »östlichen Staaten« spielt, »deren Namen man nur undeutlich versteht«, wird kein Erfolg. »Weil Herr Petrovich seiner Sängerin nicht sagt, nicht sagen darf, daß die Dame, mit der er sich traf, eine Spionageagentin ist, und der Herr, mit dem er sich duellierte, - der Kollege vom fremden Staat, - deswegen allein dauert der Film (...). Und damit hatte sich Phil Jutzi als Regisseur abzufinden.« (Hans Schumacher, Film-Kurier, Nr. 149, 29.6.1935). 1937 erhält Jutzi die Genehmigung zur Übernahme eines Regie-Auftrags für die Juventafilm in Warschau; doch auch dieses Projekt zerschlägt sich.

Er dreht weiter Kurzspielfilme, 1937 u.a. zwei Komödien mit Werner Finck (DER ANDERE MANN; SPARKASSE MIT LIKÖR). Ende der 30er/Anfang der 40er Jahre kann er bei drei Spielfilmen noch als Kameramann arbeiten, darunter ein Film für die Deutsche Arbeitsfront, den Willy Döll inszeniert.

Vermutlich seit Ende der 30er Jahre ist Jutzi auch als Kameramann bei der Reichspost-Fernseh-Gesellschaft tätig; am 1.4.1942 erhält er einen Vertrag als Chef-Kameramann. Es entsteht u.a. der Film DAS GEBURTSTAGSLIED, der - nach Angaben Jutzis - im Juli 1941 zehnmal ausgestrahlt wird. Er beschreibt sein künstlerisches Verständnis als »Chefkameramann beim Fernsehsender« so: »Es gibt noch keine Fernseh-Autoren, meist sind es nur Hörspiele, die wir senden. So versuche ich dem (Sehen) Bild gerecht zu werden & Stücke zum Senden für Fern-Sehen selbst zu schreiben.« (Fragebogen Reichsfachschaft Film, Bundesarchiv / Berlin Document Center, dort auch alle folgenden Dokumente).

Am 20.2.1942 beantragt er bei der Reichsschrifttumskammer für seine Tätigkeit beim Fernsehen zwei Pseudonyme: »Ich habe für den Fernsehfunk zwei Sendespiele geschrieben, die in Kürze erscheinen werden. Die beiden Stücke erscheinen jedoch nicht unter meinem Namen, sondern unter Pejot und E. Zimmermann, weil ich es nicht für angebracht halte, daß mein Name in dem gleichen Vorspann zweimal erscheint, als Kameramann und als Autor.« (Brief, gestempelt 20.2.1942; BA/BDC). In einem internen Vermerk (24.2.1942) wird darauf hingewiesen, daß es nur möglich sei, einen »Decknamen« zu führen. Im Antwortschreiben vom 1.5.1942 (AZ IID - 031711-D1) heißt es: »Gemäß Amtlicher Bekanntmachung Nr. 44 vom 1.8.1934 in der Neufassung vom 21.6.1938 kann der von ihnen gemeldete Deckname: 'Pejot' in die bei der Reichsschrifttumskammer geführte Decknamenkartei wegen fremdländischen Ursprungs nicht eingetragen werden. Sie werden gebeten, einen anderen Decknamen zur Eintragung mitzuteilen.« Jutzis Widerspruch vom 6.5., daß sich der Deckname aus den »Anfangsbuchstaben meines Namens« zusammensetzt, »Phil Jutzi: Pe Jot«, also »nicht fremdländischen Ursprungs« ist, sondern »höchstens etwas fremd« klingt, wird am 11.5. abgewiesen mit der abermaligen Aufforderung, »einen anderen Decknamen zur Eintragung mitzuteilen«.

1940 gerät Jutzi zunehmend in wirtschaftliche Schwierigkeiten; seine Notlage durch den eigenen sich verschlechternden Gesundheitszustand und eine Krankheit seiner Frau spitzt sich zu; eine Mietschuld läuft auf, er kann das Schulgeld für seine Tochter nicht mehr bezahlen. Ein Antrag auf Unterstützung durch das Amt für Volkswohlfahrt, Abt. Familienhilfe, wird gestellt und eine Unterstützung durch die Reichsfilmkammer aus der Spende »Künstlerdank« wird befürwortet. Die erhaltenen Akten im Berlin Document Center geben ein nachdrückliches Bild der schwierigen und unverschuldeten Lage Jutzis. Ab 1942 kann Jutzi wegen seiner schlechten Gesundheit kaum noch arbeiten. Zwischen 1943 und Januar 1945 engagiert ihn die berliner Lex-Film des Albert Graf von Pestalozza für einige Kulturfilme im Auftrag der Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschat und Unterricht (RWU), die sich u.a. mit Schulgymnastik oder garten- und ackerpflegerischen Methoden beschäftigen, als Kameramann, teilweise wohl auch für die Montage bzw. Regie.

Nach Kriegsende verläßt Jutzi mit seiner Frau Emmy Philippine, geb. Zimmermann, die er 1923 geheiratet hat, und seiner Tochter Gisela (geb. 1926) Berlin und zieht ins Elternhaus in Alt-Leiningen. Seine finanzielle Situation bleibt prekär; Honorare aus bestehenden Verträgen werden nicht mehr ausgezahlt.

Phil Jutzi stirbt am 1. Mai 1946 im Krankenhaus von Neustadt an der Weinstraße.

Wolfgang Jacobsen


Literatur

Von Jutzi

Über Jutzi

  • ps.: Menschen im Film. Dr. Herbert Rosenfeld und Piel Jutzi im Berliner Sender. In: Lichtbild-Bühne, Nr. 22, 25.1.1930.
  • Herbert Sandberg: Mein Beruf und seine Sorgen. In: Berlin am Morgen, Nr. 71, 25.3.1930. (Gespräch).
  • Ejott (= Ernst Jäger): Wochenschau Nr. 8. Talent. (Piel Jutzi). In: Film-Kurier, Nr. 44, 21.2.1931.
  • Was ist ein Name...? Piel oder Phil, gleichviel. In: Film-Kurier, Nr. 234, 6.10.1931.
  • Tyl.: Regisseur-Porträt. Phil Jutzi. In: Film-Kurier, Nr. 66, 19.3.1935.
  • Gerd Meier: Materialien zur Geschichte der Prometheus-Film-Verleih und Vertriebs GmbH In: Deutsche Filmkunst, Nr. 1-8, 1962, S. 12-16, 57-60, 97-99, 137-140, 177-180, 221-224, 275-277, 310-312. (u.a. über Jutzi).
  • Wolfgang Dietzel: Über den Beitrag des Kameramannes und Regisseurs Piel Jutzi zu einem dokumentarischen Spielfilmstil. In: Beiträge zur deutschen Filmgeschichte, Filmwissenschaftliche Mitteilungen, Sonderheft I, 1965, S. 320-350.
  • Mario Verdone: Un regista della »Neue Sachlichkeit«: Phil Jutzi. In: Bianco e Nero, Nr. 3/4, April 1968, S. 71-76.
  • Michael Hanisch: Phil Jutzi - Bausteine für eine Biografie. In: Horst Knietzsch (Hg.): Prisma 5. Berlin/DDR: Henschel 1974, S. 257-283. (Porträt, Filmografie).
  • Rudolf Freund, Michael Hanisch (Hg.): Mutter Krausens Fahrt ins Glück. Filmprotokoll und Materialien. Berlin/DDR: Henschel 1976, (dialog), 192 S.
  • Die Geburt des sozialistischen Films in Deutschland. In: Film und revolutionäre Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1932. 2. erg. Aufl. Bd. 2. Berlin/DDR: Henschel 1978, S. 7-185. (Dokumente zu den Prometheus-Filmen; Filmografie).
  • Günter Knorr: Phil Jutzi und der Kurztonfilm. In: F - Filmjournal, Nr. 3, Mai 1978, S. 13-19.
  • Margot Michaelis: »Mutter Krausens Fahrt ins Glück« - eine exemplarische Analyse. In: Helmut Korte (Hg.): Film und Realität in der Weimarer Republik. München, Wien: Hanser 1978, S. 103-168.
  • Wolfgang Jacobsen: Das Glashaus am Neckar. Heidelberg und das Kino. In: epd Film, Nr. 7, Juli 1985. (u.a. über Jutzis Filmarbeit in Heidelberg).
  • Gero Gandert (Hg.): Der Film der Weimarer Republik. Bd. 1929. Berlin, New York: de Gruyter 1993. (Kritiken und Dokumente zu UM'S TÄGLICHE BROT, MUTTER KRAUSENS FAHRT INS GLÜCK; Biblio-, Filmografie).
  • Deniz Göktürk: Neckarwestern statt Donauwalzer. Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer im frühen Kino. In: KINtop, Nr. 2, 1993. (u.a. über BULL ARIZONA, DER WÜSTENADLER).