Reihe CineGraph Buch

Erika Wottrich(Red.)
M wie Nebenzahl

Nero - Filmproduktion zwischen
Europa und Hollywood.

Erika Wottrich
Einleitung

 



3x Nebenzahl

What an inspired idea to bring a vast work of film out of the darkness of the vaults
and give them life again. These films span three generations, some outstanding,
of film-historical value, others merely entertaining. Whatever their merit, for
me their showing is an intensely emotional and satisfying experience. None
of this would have been possible without the work on the part of CineGraph. As
the last and least of this film dynasty I thank you for those who have gone before,
and thosewhoremain. 

Harold Nebenzal, Herbst 2001


Das vorliegende Buch ist das zweite CineGraph-Buch, das sich mit der Rolle des
Produzenten und der Produktionsfirma filmhistorisch auseinandersetzt. Dabei
ist der Weg der drei Generationen Nebenzahl vom Wechsel von Europa
nach den USA geprägt und umspannt fast ein ganzes Jahrhundert.
Es ist nicht einfach, den Spuren von Produzenten zu folgen. Es gibt kaum
Selbstaussagen, auf die man sich beziehen könnte, und für die zeitgenössische
Presse waren (und sind) Regisseure und Stars immer interessanter als die Finanziers
und Lenker im Hintergrund. Dies ist auch bei Seymour Nebenzahl der
Fall, dem aktivsten Produzenten der Familie. Erschwerend kommt hinzu, dass
es in Seymours Charakter lag, sich eher zurückzuhalten und sich nicht in die
Öffentlichkeit zu drängen, es sei denn mit den Filmen, die er produzierte. So
gibt es zwangsläufig mehr Material über die Firmen als über die Personen, die
dahinter stehen. Eine wichtige Recherchegrundlage waren natürlich die Filme
selbst sowie kleinere und größere Skandale, die den Namen Nebenzahl dann
bisweilen doch in die Schlagzeilen brachten.

Als sich Heinrich Nebenzahl (1870 - 1938) in den 10er Jahren vom Eierhandel
dem Filmgeschäft zuwendet, sind seine Interessen wohl eher wirtschaftlicher
als künstlerischer Natur. So sind die frühen Filme, die unter der Ägide des Produzenten
Heinrich Nebenzahl entstehen - bis 1925 nacheinander Geschäftsführer und Mitinhaber der Natur-Film Friedrich Müller, der Metro-FilmGmbH (mit Harry Piel), der Harry Piel Film CompagnieGmbH,der berliner Niederlassung der Apex-Film Company Ltd. und der Hape-Film CompanyGmbH-, auch hauptsächlich auf reine Unterhaltung angelegt. Vor allem die Piel-Filme stehen für kassenträchtige Sensationen, nicht aber unbedingt für große Filmkunst. 



1925 gründet Heinrich zusammen mit seinem Sohn Seymour (am 22. Juli 1897 in New York geboren) die Nebenzahl & Co. GmbH, deren Tochterfirma die Nero-Film GmbH wird (ab 1927 Nero-Film AG). Zunächst stehen auch hier Publikumsfilme im Vordergrund, doch Seymour strebt eine ambitioniertere Firmenpolitk an. 1928 arbeitet er erstmalsmit G. W. Pabst zusammen, und es entstehen einige der bedeutendsten Filme des klassischen Weimarer Kinos wie Die Büchse der Pandora (1928/29), Tagebuch einer Verlorenen (1929), Westfront 1918 (1930), Die 3-Groschen-Oper (1930/31), Kameradschaft (1931) und Die Herrin von Atlantis (1932). Mit Fritz Lang dreht die Nero M und 
Das Testament des Dr. Mabuse. 



Doch die Nazi Herrschaft zwingt Seymour Nebenzahl, ins Ausland zu fliehen, zunächst nach Paris und schließlich nach Hollywood,wo er sich von nun an Nebenzahl nennt. Seymour kehrt am Ende seines Lebens noch einmal nach Deutschland zurück und produziert den Film Bis zum Ende aller Tage (Franz Peter Wirth). 
Er stirbt am23. September 1961 in München. 



Sein Sohn Harold (geboren 31. März 1922 in Berlin) folgt Vater und Großvater ins Filmgeschäft, er spielt als Kind in den Filmen seines Vaters mit, ist später Associate Producer, Line Producer, Produzent und Drehbuchautor. Auch als Romanautor macht er Karriere. Die verschiedenen Phasen und Abschnitte der Geschichte der Familie Nebenzahl werden von den Autoren und Autorinnen dieses Buches von unterschiedlichen Seiten beleuchtet und begleitet. Die Frühphase und die Zusammenarbeit mit Harry Piel untersucht Matias Bleckman. Jeanpaul Goergen und Michael Töteberg beschäftigen sich mit der Hoch-Zeit der deutschen Nero-Film. Goergen bietet eine Übersicht der Nero-Film Aktivitäten und stellt die Firmenpolitik dar. Töteberg beschäftigt sich dagegen eingehend mit der Rolle des Produzenten in der Weimarer Republik. Der Prozess um Die 3-Groschen-Oper dient als Grundlage zur Annäherung an die Problematik. Im zweiten Teil steht die Internationalität im Blickfeld. Francesco Bono interessiert die Arbeit der Italiener bei der Nero und der Einfluss, den Deutschland in den 20er Jahren auf die italienische Filmkunst hatte und umgekehrt. Im Mittelpunkt stehen vor allem die Filme des italienischen Regisseurs Augusto Genina. 

Die Zeit Seymour Nebenzahls in Paris ist das Thema in Brigitte Bergs Aufsatz. Dabei beschäftigt sie sich unter anderem mit der Frage, ob und wie die Qualität der Filme, die unter dem Namen Nero in Frankreich entstanden, sich durch den "Umzug" verändert haben. Lutz Bacher untersucht Nebenzals Arbeit in Hollywood und dabei vor allem seine Rolle bei der Entwicklung des Package Unit Sytems. Als Grundlage dient ihm die Finanzierungsstrategie des Films Summer Storm.

Der letzte Teil widmet sich einigen Filmbeispielen aus dem großen Oeuvre
der Nebenzahls. Horst Claus analysiert den Film Tragödie im Zirkus Royal
und damit das Phänomen des Mittelfilms. Gerald Koll untersucht die Nero-Filme von G. W. Pabst. Immerhin machte der berühmte Regisseur einige seiner besten Filme zusammen mit dem Produzenten Seymour Nebenzahl. Die amerikanischen Filme sind Thema von Thomas Brandlmeier sowie die Frage, ob sie ästhetisch dem Film Noir zugeordnet werden können. Jan Distelmeyer analysiert in seinem Beitrag nicht nur den Film The Wilby Conspiracy, sondern
versucht damit auch, sich dem Schaffen von Harold Nebenzal anzunähern.

Im Anhang findet sich eine ausführliche Filmografie zu den Produktionen von
Heinrich, Seymour und Harold Nebenza(h)l.
Die Firmen- und Familiengeschichte der Nebenzahl-Dynastie ist beispiellos.
Nicht nur die über drei Generationen weitergegebene Leidenschaft des Filmproduzierens,
auch die Qualität und Vielfalt vor allem der Filme der Nero Film AG in der Weimarer Zeit. Dieser Band möchte einen Beitrag dazu leisten, die Produktivität und Arbeit einer einmaligen Familie besser zu verstehen, ohne die wir filmgeschichtlich um vieles ärmer wären.

Erika Wottrich Hamburg, Herbst 2002


Materialien zum gleichnamigen filmhistorischen Kongreß (2001)
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