Berliner Film-Ateliers. Ein kleines Lexikon

MAY-ATELIER

Weißensee, Franz Josef-Straße 5-7

Gegründet 1919
Doppel-Glashaus je ca. 300 qm


Die Deutsche Vitascope GmbH, im März 1907 von Jules Greenbaum (= Julius Grünbaum) gegründet und seither durch verschiedene Ateliers gewandert (Markgrafenstr. 94 Mutoskop-Atelier, Lindenstr. 32-34 Vitascope-Atelier), kann am 13.12.1913 in der Licht-Bildbühne stolz verkünden: »Durch die ganz außergewöhnliche Vergrößerung des Absatzes unserer Films in allen Teilen der Welt sahen wir uns veranlaßt, unsere Fabrikation nach Berlin-Weißensee, Franz Josefstr. 5-7 zu verlegen, welche Fabrikationsräume am letzten Montag ihrer Benutzung übergeben wurden. Die Anlage ist die größte Deutschlands. Durch diese Fabrikationsanlage sind wir in der Lage, auch den weitgehendsten Ansprüchen zu genügen bis zu einer Tagesleistung von 100 000 Meter und werden nicht mehr, so wie leider zu früheren Zeiten, durch ganz außergewöhnlich großen Verkauf eines Sujets Verlegungen der anderen Ausgabedaten notwendig sein. Unsere Verkaufsräume sind nach wie vor Lindenstraße 32/34.« (LBB, 13.12.1913).

Eröffnet wird diese Anlage mit zwei je ca. 300 qm großen, ebenerdigen Glashäusern am 1.10.1913. Die Ateliers stoßen von Süden an ein langgestrecktes flaches Werkstatt- und Büro-Gebäude, dessen »Sägezahn-Dach« der besseren Beleuchtung der Werkstätten dient.

Dreharbeiten im May-Atelier, Weißensee, 1913: Walter Schmidthäßler (sitzend), Hermann Warm

»In neuerer Zeit (...) fand der dritte Typ des Ateliers zu ebener Erde immer mehr Liebhaber. Seine Vorzüge sind in erster Linie die Erleichterung des Transportes von schweren Möbeln, Wagen usw. direkt in die Halle hinein, die Verringerung der Baukosten und das Fernhalten feuergefährlicher Nebenbetriebe vom Atelier selbst. Grundlegend wurde hier eine Reihe von Bauten in Weißensee, so vor allem das für die Vitaskop von Greenbaum errichtete Doppelglashaus.« (G. Victor Mendel: Von der Dachstube zur Luftschiffhalle. In: LBB Luxusnummer »30 Jahre Film«, 1924, S. 29).

Doch schon im Januar 1914 wird die Vitascope von der Projektions-AG »Union« (Pagu) übernommen, Julius Greenbaum, sein Bruder Max Grünbaum und Geschäftsführer Hermann Fellner treten in die Leitung der Pagu ein. Die Pagu gehört wiederum ab 23.2.1918 zur Ufa. Im Januar 1915 verläßt Greenbaum die Pagu und gründet die Greenbaum-Film GmbH, die ihre Produktion in den Ateliers in der Franz Josef-Straße 5-7 aufnimmt.

Ab 1919 ist auch die May-Film GmbH hier Mieter, 1922 kauft sie die Liegenschaft dem bisherigen Besitzer, einem Abbruchunternehmen Köhler ab. 1921 nennen die verschiedenen miteinander verschachtelten Firmen von Joe Mays Film-Konzern das Atelier als Adresse: Fema-Film-Atelier GmbH (Fema = Fellner + May), May-Film GmbH, Filmstadt Woltersdorf Grundstücksgesellschaft mbH (Woltersdorf). 1923 entsteht als Konzernrahmen die May-Film AG mit einem Stammkapital von 100 Millionen Papiermark (die ganze 3580 Goldmark wert sind). Dieser AG gehören als Tochterfirmen die genannten GmbHs, zusätzlich die May Kopieranstalt GmbH, die alle in Weißensee angesiedelt sind.

Greenbaum und May drehen zunächst mit Erfolg Detektiv-Serien, so Greenbaum die Phantomas-Serie mit Erich Kaiser-Titz oder Rolf Loer in der Titelrolle, May nach der Trennung von Ernst Reicher, der im Nachbar-Atelier (Lixie-Atelier) seine Stuart Webbs-Serie fortsetzt, die Joe Deebs-Serie (Regie: Harry Piel). Doch auch »seriöse« Dramen entstehen in Weißensee, wo sich um Joe May eine Gruppe neuer Talente versammelt, so als Architekten Martin Jacoby-Boy (jahrelang Technischer Leiter des Ateliers), dessen Nachfolger Fritz Maurischat und Paul Leni (dessen eigene Firma 1922 ebenfalls im May-Atelier ansässig ist und der hier sein brühmtes WACHSFIGURENKABINETT dreht), die Regisseure E. A. Dupont, Jens Uwe Krafft und Fritz Lang (der hier seine Partnerschaft mit Thea von Harbou begründet).

Gegen Ende des Kriegs beginnt May den bisher üblichen Rahmen deutscher Film-Produktionen zu sprengen: Im Atelier Weißensee, auf der nahegelegenen Rennbahn und an verschiedenen Originalschauplätzen entsteht der dreistündige »Prunkfilm« VERITAS VINCIT mit Mia May in drei Episoden. Für die 8 Teile DIE HERRIN DER WELT (Regie May, Jens Uwe Krafft, Karl Gerhardt) baut Jacoby-Boy z.T. orientalische Dekorationen in Weißensee, in Mays neuer »Film-Stadt« (Woltersdorf) und in der leerstehenden Zeppelinhalle Staaken; auch die Filmstudios in den Ausstellungshallen am Zoo (Zoo-Atelier) bekommen bei dieser Serie Beschäftigung.

Mitte der 20er Jahre gerät die May-Film AG in finanzielle Schwierigkeiten, nicht zuletzt wegen der etwas chaotischen und technisch-aufwendigen Produktion von DER FARMER AUS TEXAS, zudem läßt die Ufa Ende 1926 einen Pachtvertrag mit den Ateliers auslaufen, der einige Jahre als finanzielles Poster gedient hat. Daraufhin ist die Fema Film Atelier GmbH - zu dem Zeitpunkt Inhaber des Ateliers - gezwungen, einen Teil der Gebäude an die Wäscherei und Färberei H. Ide Nachf. (O. Kaiser), die Ende der 20er Jahre mit ihren diversen Tochterfirmen das gesamte Gelände übernimmt.

Die Atelier-Anlage Weißensee ist noch heute - fast unverändert - in der Liebermannstraße existent, in den 80er Jahren befindet sich dort der »Betriebsteil Ide-Wäscherei« der VEB Rewatex.

[WIRD DEMNÄCHST AKTUALISERT]


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