Berliner Film-Ateliers. Ein kleines Lexikon

UFA-TEMPELHOF

Tempelhof, Oberlandstraße 26-35

Gegründet: 1913
Literaria-Glashaus (1913) 800 qm: 20 x 40 m, 12 m Höhe.
Union-Glashaus (1913) 800 qm: 20 x 40 m, 12 m Höhe.
Gesamtgelände: 90000 qm.
Doppel-Atelier 1: 800 qm, 7 m Bh.
Doppel-Atelier 2: 480 qm, 6 m Bh.
Doppel-Atelier 3: 800 qm, 7 m Bh.
Doppel-Atelier 4: 480 qm, 6 m Bh.


Alfred Duskes, einer der Pioniere der deutschen Filmindustrie (Rex-Atelier, Mutoskop-Atelier, Duskes-Atelier), gründet am 28.12.1912 die Literaria Film-GmbH, an der die französische Firma Pathé Frères beteiligt ist. Die Literaria errichtet im Frühjahr 1913 in Tempelhof, Oberlandstraße, ein Glashaus, kurz danach baut direkt nebenan Paul Davidsons Projektions-AG »Union« (Pagu) ein gleichgroßes Atelier.

»Am südlichen Rande des Tempelhofer Feldes, dort, wo über die Gleise der Ringbahn hinweg bisher die militärische Wüste in eine bürgerliche Wüste überging, beginnt jetzt neues Leben sich zu regen. Es scheint, daß dort ein Industrieviertel aus den mehr oder weniger grünen Feldern emporwachsen soll. Am weitesten in die Wüste vorgeschoben ist vorläufig ein Komplex, der einer der neumodischsten Fabrikationen gewidmet ist. Wenn man von der Tempelhofer Chaussee herkommt, sieht man schon aus weiter Ferne zwei seltsame Gebilde emporragen, die wie riesenhafte Vogelkäfige aussehen. Es sind zwei hochgelegene, sehr große Hallen, die vollkommen von Glaswänden eingeschlossen sind und auch ein gläsernes Dach haben. Frei kann von allen Seiten das Licht hier hineinfluten, und man kann sich gleich denken, daß diese Anlagen jenem Gewerbe dienen, für das der Grundsatz gilt: ,Am Lichte hängt, zum Lichte drängt doch alles!': der Filmfabrikation.« (LBB, Nr. 24, 14.6.1913).

Im Gegensatz zu dem ein Jahr zuvor in Neu-Babelsberg (
Babelsberg) von Guido Seeber für die Deutsche Bioskop errichteten ebenerdigen Glashaus handelt es sich hier um den Typ der Glashalle auf einem mehrstöckigen Unterbau. »Dieses wuchtige Gebäude umfaßte neben großen Fundus- und Werkstättenbauten gleichfalls in seinen unteren Etagen Kopieranstalt, Bureaus und Ankleideräume. Darüber lag, durch drei Treppen erreichbar und mit einem Lastfahrstuhl, der einen großen Möbelwagen komplett fassen konnte, ausgestattet, die riesige Glashalle mit einem Flächenraum von zirka 800 qm, mit Versenkung, Wasserbassins, fahrbarer Kranbrücke und einem für die damalige Zeit glänzenden Lampenpark und Dekorations-Fundus.« (G. Victor Mendel: Von der Dachstube zur Luftschiffhalle. In: LBB Luxusnummer »30 Jahre Film«, 1924, S. 28).

Die Literaria wird als Filiale einer ausländischen Firma gemäß einer Verordnung des Bundesrates vom 26.11.1914 im Januar 1915 unter Zwangsverwaltung gestellt, das Atelier 1917 von der Messter-Film GmbH übernommen, die 1918 auch das Union-Glashaus pachtet und das so entstandene Filmgelände am 6.3.1918 in die Universum Film AG (Ufa) einbringt. 1925 wird das Union-Glashaus von der Ufa gekauft. Die Kurznamen der Ateliers lauten »Ufa-Union-Atelier« und »Ufa-Messter-Atelier«. Um die Glashäuser, denen jeweils eine kleine Halle zugeordnet wird, entstehen neue Gebäude für Fundus, Werkstätten und technische Fabrikation.

Als Mitte der 20er Jahre von der Arbeit bei Sonnenlicht zum kontrollierbareren Kunstlicht übergegangen wird, werden auch die Glashallen in Tempelhof der neuen Arbeitsweise angepaßt. »Die Glasbedachung ist überall mit blauer Farbe überdeckt worden, um kein störendes (Sonnen-) »Neben«licht zu erhalten, und bei einem der Ateliers ist man sogar dazu übergegangen, die Decke aus massiven Steinen herzustellen.« (A. Kossowsky: Die Filmateliers der Ufa in Berlin-Tempelhof. In: Kinotechnische Rundschau, Nr. 22, Film-Kurier, Nr. 239, 9.10.1924).

Das Gelände ist das Zentrum der Ufa-Produktion, ehe diese nach Babelsberg verlagert wird. Die Tempelhofer Ateliers werden darauf kaum von der Ufa selbst benutzt, sondern an andere Produktionsfirmen wie D.L.S. (Deutsches Lichtspiel-Syndikat GmbH) und Tobis (Tonbild-Syndikat AG) vermietet.

Die Priorität Babelsbergs läßt sich auch daran erkennen, daß die eigentliche Umstellung auf die Tonfilm-Produktion in Tempelhof erst 1 1/2 Jahre nach der Errichtung des Ton-Kreuzes in Babelsberg vorgenommen wird. Architekt ist Otto Kohtz, der auf seine Erfahrungen beim Ton-Kreuz zurückgreifen kann.

»Für die Tempelhofer Anlagen war es von besonderer Wichtigkeit, festzustellen, aus welchen Quellen Störungen des Tonaufnahme-Betriebes herrühren können. Dies zu beachten hat man sich bei dem Umbau-Entwurf und der tonfilmischen Einrichtung besonders angelegen sein lassen. Die Hauptstörungs-Momente waren auf die Lage der Ateliers zurückzuführen und entstanden durch die Ringbahn und durch den Luftverkehr des nahen Flugplatzes Tempelhof. (...) Die dritte Gefahr für die Anlagen sind plötzlich auftretender Platzregen, dessen Trommelgeräusch das Dach des Tonfilm-Ateliers nicht durchdringen durfte. Dieser Fehler ist verhältnismäßig leicht zu beseitigen. Die Dächer der neuen Tempelhofer Anlagen werden mit einer weichen Schicht versehen, in der das Trommelgeräusch des Schlagregens erstickt wird. Auf alle Fälle sind Dach-Konstruktionen und Mauern der Tempelhofer Anlagen im Gegensatz zu Neubabelsberg noch durch zwei schallundurchlässige Schichten verstärkt worden.« (Reichsfilmblatt, Nr. 16, 18.4.1931).

1925 gliedert sich die Ufa die Aktiengesellschaft für Filmfabrikation (AFIFA) an, die einige Straßen entfernt, in der Victoriastraße 13-18, ihre technischen Anlagen ausbaut. (Dies - nicht das Atelier-Gelände - ist heute die alternative Ufa-Fabrik).

Im Rahmen der Umstrukturierung der Filmindustrie durch die Nazis wird das Tempelhofer Atelier der Ufa zugeordnet, die sie teilweise der Terra Filmkunst GmbH überläßt, die über keine eigenen Produktionsanlagen verfügt. Nach einem gründlichen Umbau der Ateliers ist der Bestand zu Beginn des 2. Weltkriegs:

1. 540 qm Flächeninhalt, Bauhöhe 8 m, (Anbau: 112 qm Flächeninhalt, Bauhöhe 7,2 m),
2. 800 qm Flächeninhalt, Bauhöhe 7-9 m,
3. 520 qm Flächeninhalt, Bauhöhe 7 m,
4. 800 qm Flächeninhalt, Bauhöhe 7-9 m.

»Am 26. April 1945, in den Morgenstunden, erobern die Sowjets die Oberlandstraße in Tempelhof. Sie brechen das Tor des Ufa-Geländes auf und dringen in die Hallen ein. Sie kommen sehr ungelegen, denn Helmut Weiß hat seinen neuesten Terra-Film
SAG' DIE WAHRHEIT nicht beendet. Noch am Tage des ersten direkten Beschusses stand Altmeister Reimar Kuntze seelenruhig hinter der Kamera, und Ehepaar Rühmann/Feiler spielte mit gewohntem Charme die Hauptrollen in dieser Filmgroteske von Ernst Marischka. Erst als die S-Bahn lahmgelegt wurde, erlosch auch im Atelier das Scheinwerferlicht.

Betriebsleiter Otto Hübner, der sich in seinem Büro wohnlich eingerichtet hatte, tritt mit einigen Getreuen den Russen entgegen. Diese suchen zunächst nur Quartier, doch am anderen Tage fahren Stalinorgeln auf dem Filmgelände auf und schießen todbringende Salven nach Kreuzberg hinein. « (Hans Borgelt: Schicksalswende in Berlin. In: Horst G. Feldt (Hg.): Wissen Sie noch? Wiesbaden-Biebrich: Der neue Film 1955, S. 15-18).

Von den vier Hallen ist das Atelier 4 völlig zerstört, Atelier 3 schwer, die Ateliers 1 und 2 leichter beschädigt. Auch die Nebengebäude sind großenteils unbrauchbar, die Anlagen ausgelagert oder beschädigt. Dennoch beginnt man sofort mit der Reparatur der erhaltenen Räumlichkeiten und Geräte. Nach Übernahme des Sektors durch amerikanische Truppen im Frühsommer 1945 benutzt zunächst eine Fallschirmeinheit die Hallen für Übungen.

Doch schon bald beginnt wieder die Filmarbeit. Wie in allen erhaltenen berliner Ateliers ist die erste Aufgabe die Synchronisation sowjetischer Spielfilme. Nach einigen Kurzfilmen, die von Sowjets und Polen in den Hallen 1 und 2 gedreht werden, wird Mitte 1946 die Arbeit an dem 1945 abgebrochenen SAG DIE WAHRHEIT wieder aufgenommen. Allerdings sind die Hauptrollen, ursprünglich vom Rühmann/Feiler gespielt, jetzt mit Gustav Fröhlich und Ingeborg von Kussenow besetzt.

Zu dieser Zeit führt für das US-Office of Military Government (Berlin) (OMGBD) ein Film-Offizier Aufsicht über die Entwicklung des Filmwesens im amerikanischen Sektor von Berlin, der das Gewerbe aus Hollywood kennt: 1st Lt. Peter Van Eyck. Im Zentrum seiner Tätigkeit steht der Wiederaufbau des Filmstudios Tempelhof, für den er sich bei den allierten Stellen intensiv einsetzt, speziell, um dort auch amerikanische Filme zu synchronisieren. Er sendet über seine Tätigkeit einen wöchentlichen Report an das US Headquarter.

»Die Arbeit an vier geplanten Synchron-Studios im Studio Tempelhof haben begonnen. Alle beteiligten Stellen haben zugestimmt. Da die Housing Branch, für Baumaterialien zuständig, außer ihrer Zustimmung nichts bereitstellen kann, bemüht sich unsere Abteilung, mit dem Briten zu einer Abmachung zu kommen, die in unserem Sektor nicht vorhandenen Materialien aus der Britischen Zone zu importieren. (Die amerikanische Armee erlaubt nicht, aus irgendwelchen obskuren Gründen, den Import von Materialien aus unserer Zone in den Sektor.)« (Report Nr. 34, 15.5.1946).

»Das Filmstudio Tempelhof hat eine Unterlage über die Vorschläge zum Wiederaufbau des Studios eingereicht. Man glaubt, das Studio könne mit einem Maximum an Einsatz und einem Minimum an Aufwand die nötigen Anlagen wiederherstellen, um jährlich 10 bis 15 Spielfilme produzieren und 35 bis 40 Filme synchronisieren zu können. Während der letzten 18 Monate konnte das Studio drei der vier Ton-Ateliers wieder herstellen und sich genügend Tonfilm-Ausrüstung besorgen, um dort Spielfilme drehen zu können. Das Personal erhöhte sich von 36 auf 160. Außerdem ist ein Synchron-Studio praktisch komplett, das zweite in Bau.« (Report Nr. 57, 24.10.1946).

Inzwischen haben im Auftrag der OMGBD auch die Synchron-Arbeiten für die ersten Spielfilme, Alfred Hitchcocks
SUSPICION und das Musical ZIEGFELD GIRL, mit James Stewart und Lana Turner, begonnen. Auch hier muß Eyck helfend eingreifen. »Das für die Synchronisation von SUSPICION und ZIEGFELD GIRL nötige Rohmaterial ist nicht-existent. Daraufhin hat diese Abteilung sich das notwendige Ton-Material von Film Poslki geliehen und das notwenige Positiv-Material aus den Vorräten des früheren RWU gesichert.« (Report Nr. 59, 7.11.1946).

Trotz aller Probleme kann die deutsche Fassung von SUSPICION Ende November 1946 abgeschlossen und im Dezember von der Film Section besichtigt werden.

»Mit der Erteilung von Produktionslizenzen zur Herstellung von Spiel- und Dokumentarflmen und für Synchronisationen von Spielfilmen der West-Alliierten begannen sich die Ateliers allmählich zu beleben. Jetzt kamen Mittel ein, um Hallen und Werkstätten gründlich instand zu setzen und Büroräume zu Schneideräumen umzuwandeln. Um eine kontinuierliche Beschäftigung der Spielfilmproduktion für die Zukunft zu gewährleisten, wurde für die Synchronisations-Abteilung, die bisher ihre Arbeiten in den Spielfilmateliers durchführen mußte, durch Ausbau einer Ruine ein Synchron-Atelier hergerichtet, während andere Räume zu einem Misch-Atelier umgebaut.

Bis zum Jahre 1948 waren wieder die instandgesetzten Atelierhallen 1, 2 und 3 verfügungsbereit.

Diese Entwicklung wurde durch die im Sommer 1948 einsetzende sowjetische Blockade Berlins jäh unterbrochen. Diejenigen Produktionsfirmen, in der Mehrzahl Berliner Firmen, die ihre Dispositionen für Tempelhof getroffen hatten, waren durch Stromkontingentierung und Material-Verknappung gezwungen, in westdeutsche Ateliers abzuwandern. (...) In dieser schwierigen Situation begann die Comedia unter der Regie von Stemmle mit der
BERLINER BALLADE, einem Film, der symptomatisch für die derzeitigen Verhältnisse war. Dem unerschrockenen Beispiel folgend, drehten dann auch weitere Produktionsfirmen während der Blockade unter denkbar ungünstigen Verhältnissen in den Tempelhofer Ateliers.« (***: Das ehemalige Reichsfilmvermögen (II). Die Ufa- und Afifa-Anlagen in Berlin-Tempelhof. Filmpress, Nr. 9, 4.3.1954).

Mit einer 1951/52 für den Revue-Film
DER BUNTE TRAUM neu errichteten Halle, die zwar über eine Eisfläche verfügt, aber für Tonaufnahmen unbrauchbar ist, hat sich der Bestand der wiedererstandenen Ufa in Berlin erweitert: Atelier 1 mit 640 qm, Atelier 2 mit 800 qm, Atelier 3 mit 500 qm, Atelier 4 mit 220 qm, »Stumme Halle« mit 960 qm, 1 Ausweichatelier (Seeschloß Pichelsberg, Arca-Atelier) mit 600 qm, 1 Freigelände mit einem Horizonthügel mit ca. 71000 qm, 1 Synchron-Atelier, 1 Misch-Atelier, 1 Musikaufnahme-Atelier. 1954 kommt eine neue große Halle mit 1062 qm und 11,20 m Höhe hinzu, die wegen der lauten Umgebung in Zweischalenbauweise errichtet wird.

Nach dem Konkurs der Ufa und der Übernahme der Tempelhofer Anlagen durch die Immobilienfirma Becker und Kries wird am 1.1.1964 die Berliner Union Film (BUFA) als reiner Studio-Betrieb ohne eigene Produktionen gegründet. Während zuvor die Zusammenarbeit mit dem expandierenden Fernsehen vernachlässigt worden ist, schließt man nun 1967/68 mit dem Sender Freies Berlin einen festen Vertrag über die Benutzung von 1 1/2 Studios zur Produktion von TV-Filmen und Spielen.

Das Zweite Deutsche Fernsehen baut 1963 das Studio 4 zur Produktions-Außenstelle Berlin aus, in der aktuelle Sendungen produziert werden, die inzwischen direkt über eine Sendeleitung nach Wiesbaden gestrahlt werden können. Hier entstehen u.a. KENNZEICHEN D und im Wechsel ASPEKTE, aus dem Studio 1 kommt die HITPARADE, DER GROSSE PREIS aus Studio 2. Ein Teil des Tempelhofer Geländes ist inzwischen in den Besitz des ZDF übergegangen.

Neben deutschen Produzenten nehmen auch Hollywood-Studios die Kapazitäten der Tempelhofer Ateliers (bisweilen auch nur zur Hilfestellung bei Außenaufnahmen) wahr. In Berlin entstanden so u.a. Robert Siodmaks Mauer-Film
TUNNEL 28 (1962), für das Walt Disney-Studio EMIL UND DIE DETEKTIVE (1964), Bob Fosses CABARET (1972) und Hans W. Geissendörfers DER ZAUBERBERG (1981).

Neben der Atelier-Vermietung verdient die BUFA heute hauptsächlich durch Synchron-Arbeiten und durch den Dekorationsbau der Werkstätten für das ZDF, die Deutsche Oper und das Theater des Westens; auch ein Teil der Ausstellungs-Dekorationen des Deutschen Filmmuseums in Frankfurt stammen aus Tempelhof.

[WIRD DEMNÄCHST AKTUALISERT]

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